Nathan der Weise (Thema: Nathan der Weise)

Charakterisierung der Person "Nathan der Weise" aus dem gleichnamigen Werk von Lessing

Schnellübersicht
  • Umstände: Naher Osten, es herrschen tiefe Spaltungen zwischen den drei großen Weltreligionen Christentum, Judentum, Islam. Jeder war überzeugt, seine Religion sei die "einzig wahre". Folge: Ignoranz, Intoleranz, gewalttätige Konflikte.
  • Nathan ist: ein überaus reicher Kaufmann, jüdisch, beim Volk beliebt.
  • Sein Beiname ist "der Weise", vom Volk verliehen, verdeutlicht seine allgemein anerkannte Weisheit.
  • Nathans Familie wurde von Christen ermordet (in ihrem Haus verbrannt). Er entwickelte allerdings dadurch keinen Hass gegen Christen. Kurz nach dem Mord nahm er Recha (ein Kind, christlich) als Pflegetochter auf.
  • Nathan zeichnet sich aus durch: Toleranz, Humanität, Vernunft, Weisheit, Weitsicht
  • Er bietet ein gutes Vorbild und animiert andere aktiv dazu, seine Werte von Toleranz und Mitmenschlichkeit anzunehmen. Er verlangt nicht, dass sie die Religion wechseln. Er baut auf der Humanität auf, die jeder Religion zugrunde liegt.
  • Er vertritt damit Werte der Aufklärung und ist ein typischer Vertreter dieser. Sein Handeln bewirkt, dass die Geschichte ein gutes Ende findet.



1. Infos zu Zeit und Ort


Bei der Betrachtung der Person "Nathan der Weise" ist es wichtig, ein Grundwissen über den Ort an dem der Roman spielt, sowie die damaligen Verhältnisse zu haben.
Ort ist der Nahe Osten, also das heutige Gebiet von Iran, Irak, Israel, Syrien, dem Jemen und Ägypten, sowie den direkt angrenzenden Ländern.
Der Zeitpunkt zu dem das Stück spielt, lässt sich nicht exakt beziffern. Man kann aber sagen, dass zu dieser Zeit in der Region die Mitglieder der drei großen Weltreligionen (Judentum, Christentum, Islam) dicht an dicht lebten. Die Situation war entsprechend angespannt und (gewalttätige) Konflikte waren nichts ungewöhnliches (alles von Morden bis zu Kreuzzügen).
Die Mitglieder der einzelnen Religionen waren stets überzeugt davon, dass ihre Religion die "beste" sei, die "einzig wahre". Entsprechend waren Intoleranz und Ignoranz normale charakterliche Eigenschaften.



2. Zur Person "Nathan der Weise"


"Nathan der Weise" aus dem gleichnamigen literarischen Werk von Ephraim Lessing wird häufig nur kurz als "Nathan" bezeichnet. Er ist einer der reichsten Kaufleute im Nahen Osten und besitzt ein riesiges Vermögen. Trotzdem wird er vom Volk geliebt und hat von diesem auch den Beinamen "der Weise" erhalten.

Wie dieser Beiname bereits verdeutlicht, zeichnet sich Nathan insbesondere durch seine Weisheit aus. Einer Weisheit, die sich vor allem in seiner Toleranz gegenüber anderen Religionen und in seiner Mitmenschlichkeit zeigt. Obwohl er als Jude seine Familie durch von Christen verübte Verbrechen verloren hat, ist er dennoch in der Lage zu vergeben. Er nimmt sogar ein verwaistes Christenmädchen als seine Tochter auf. So wendet er sich nicht voller Gram von seinen Mitmenschen ab, sondern hilft ihnen durch Gespräche und gutes Vorbild. So animiert er sie dazu, seinem humanistischen Verhalten zu folgen.
Maßgeblich setzt er sich dabei für seine angenommene Tochter Recha, für den jungen, stürmischen Tempelherrn und für Sultan Saladin ein. Alle drei gelangen so zu einem höheren Verständnis von Menschlichkeit. Am Ende sind religiöse und verwandschaftliche Zugehörigkeiten ersetzt durch die geistige und seelische Verwandtschaft.

In der berühmten Ringparabel antwortet Nathan auf die Testfrage des Sultans nach der wahren Religion, indem er Judentum, Christentum und Islam als gleichberechtigte Mitglieder einer Familie charakterisiert, deren Beurteilung den Geist des Menschen überschreitet. Die allen Religionen gemeinsame oder übergeordnete Humanität liegt nicht im Beharren auf Grundsätzen sondern im Vollbringen guter Taten.
Nathan zeigt sich als wahrer Mensch, indem er auf die oben erwähnten Verbrechen (Christen, die seine Familie ermordeten) nicht mit Hass, sondern mit Liebe reagiert. Er folgt nicht dem Prinzip "Auge um Auge, Zahn um Zahn", sondern behält seine tolerante Haltung bei und versucht diese auch anderen zu vermitteln. Diese Reaktion auf zeitlich vor Beginn des Dramas stattgefundene Ereignisse wird schließlich zum Schlüssel der Geschehnisse und bedingt die Wendung zum Guten.

Die Religionszugehörigkeit als eine den Menschen auf ein bestimmtes Verhalten festlegende Instanz wird von Lessing konterkariert, indem er gerade den Juden Nathan als großzügigen Almosenspender charakterisiert. Das antisemitische Vorurteil des geldverleihenden Wucherers wird so aufgehoben (Wucherer: vergibt Kredite mit Zinsen; Zinsen waren damals verpönt). Einigen christlichen Figuren, vor allem dem verlogenen Patriarchen, teilweise aber auch dem Tempelherrn und Rechas Gesellschafterin Daja, werden hingegen korrupte und rechthaberische Charakterzüge zugewiesen. Der Anspruch des Christentums, vor allen anderen Religionen Güte und Nächstenliebe zu praktizieren, wird als fehlgeleitet dargestellt. Selbst der Muslim Sultan Saladin und seine Schwester Sittah zeigen sich im Gegensatz zu den christlichen Personen Nathans Vorstellungen von Menschlichkeit weitaus zugänglicher.

Die Weisheit Nathans liegt weniger in seiner Religiosität als in seiner Fähigkeit, die Religion nicht absolut zu setzen, begründet. So setzt er den Absolutheitsansprüchen der Religionen seine vorurteilsfreie Mitmenschlichkeit entgegen.
In Auseinandersetzungen mit den schwärmerischen Einbildungen seiner Tochter Recha und Daja (erster Akt) führt er diese zur Realität - nicht ein Engel, sondern ein Mensch habe sie aus den Flammen gerettet.
Den Tempelherrn bringt Nathan dazu, die selbstgewählte Isolation (zweiter Akt) und den eifersüchtigen Zorn (vierter und fünfter Akt) aufzugeben, und sich als Mensch unter Menschen aufgenommen zu fühlen.
Der Sultan wird im dritten Akt durch besagte Ringparabel auf die Seite der Vernunft gezogen.

So demonstriert Lessing anhand seiner Figur Nathan im Sinne der Aufklärung das erhellende Moment der Vernunft als alle gesellschaftlichen und religiösen Schranken durchbrechendes Element.
Nathan ist nicht nur ein weiser Mensch, der durch sein persönliches Leid nicht den Glauben an das Gute in der Welt verliert, sondern auch ein Lehrer für andere. Er ist ein Missionar der Vernunft und der Humanität, der ohne Aggression nicht einer Religion, sondern dem im Grunde allen Religionen gemeinsamen Prinzip Mitmenschlichkeit zum Durchbruch verhilft. Befreit aus dem Dunkel der verblendeten Religiosität kann durch Nathan als Katalysator für seine Umgebung eine neue Zeit anbrechen.
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